Geige oder Bratsche? Johann Brandner, Schönbach

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fedele
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Geige oder Bratsche? Johann Brandner, Schönbach

Beitrag von fedele »

Liebe Forum,
ich habe eben eine Geige restauriert, die ich nicht eindeutig zuordnen kann:
Sie ist aus der Musikinstrumente Erzeugung Johann Brandner aus Schönbach in Böhmen, die Nro. 514 nach Josef Klotz, ich schätze, ca. Jahrhundertwende. Zuletzt wurde sie als Geige bespielt, und das dem Griffbrett nach zu beurteilen bis in die dritte Lage recht viel.
Die Abmessungen ergeben aber, dass es sich möglicherweise um eine Bratsche handelt:
Ausschlaggebend ist doch, dass vor allem die Zargenhöhe den Unterschied zwischen Geige und Bratsche ausmacht, richtig?
Bevor ich zu den Maßen komme hier noch Auffälligkeiten während der Restaurierung:
Der Bassbalken war gut 5cm kürzer als gewohnt, und wegen der Nähe zu den ff-Löchern geschwärzt.
Könnte das original gewesen sein oder hat schon jemand versucht, einen Bassbalken-Riss "billig" zu restaurieren? (Es waren nebst sehr schön gemachten Stimmriss auch Holzkitt-Spuren an den Rändern der Decke zu sehen)
Ich habe nun den BB-Riss nach Möckel restauriert, der alte war fest verleimt, ich musste ihn schichtweise abtragen.
Einer der Risse ging mittig durch, ein weiterer entlang der BB-Kante. Könnte der kürzere BB ein Versuch gewesen sein, einen bestimmten Klang hervorzuheben (eher geigig als bratschig oder umgekehrt? Ich hatte nicht daran gedacht, dass der original gewesen sein könnte...)

Der Korpus dieser Geige/Bratsche ist 36,5cm lang,

die Mensuren sind 32,5, Deckenmensur 19,5, Halsmensur 13. Diese wären typisch für eine 4/4 Geige und für mich war das bislang auch klar eine etwas länger gebaute Geige. Sie wirkt auch erstaunlich zart.
Nun hab ich die Zargenhöhe gemessen: 3,8cm! Das wäre mich optisch nicht aufgefallen.

Ja, ist die Böhmerin jetzt eine 1/2 oder 3/4 Bratsche? Beim neu bestücken hatte ich sie vorerst eine Quinte tiefer gestimmt und war erstaunt, dass sie diese Tiefen ganz gut trug und kurz überlegt, sie als Bratsche zu verwenden. Ich bin lediglich Musikantin, keine Musikerin, und da hätte das schon gepasst...

Aber ist das jetzt tatsächlich eine Bratsche? Sie klingt als Geige durchaus passabel... den Bratschen-klang hab ich vorerst nur mit runtergestimmten Geigensaiten getest, er erscheint mir aber besser als bei anderen Versuchen mit Geigen mit Übermensur.

Weitere Daten, die für mich wieder eher zur Geige passen würden:

Obere Breite 16 cm

an der Taille misst sie 10,8 cm

Untere Breite 20cm

Bratschen wären doch weitaus breiter gebaut um einen bratschigeren Klang zu kriegen - vor allem, wenn der Korpus kürzer ist, nicht?

Bratschensaiten habe ich eben bestellt, um dieses Klangspektrum auszuprobieren.

Wissen Sie hier im Forum mehr über hybride Bauformen? Wurde damit experimentiert? Auch in Manufakturen? Wenn ja: Wer sollte das Zielpublikum für solche Instrumente sein? Musikant*innen einer bestimmten Musikrichtung?

Anbei ein paar Bilder von meiner Böhmerin - sie ist nichts besonderes, die Schnecke ein bisserl klein und vernudelt, aber ich mag gerade das an ihr, sie hat einen sehr schlichten Charme. Vielleicht gibt es auch hierzu etwas zu erzählen?
Ich mag dieses Instrument sehr und freue mich über mehr Wissen darüber,
vielen Dank!
fedele
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Udo Kretzschmann
Geigenbaumeister
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Re: Geige oder Bratsche? Johann Brandner, Schönbach

Beitrag von Udo Kretzschmann »

Hallo fedele,

ich kann nicht alles beantworten, aber ein paar Dinge möchte ich anmerken.

Du schreibst, Du hast die Geige restauriert, also bist Du Geigenbauer? Dann sind Dir doch Abweichungen vom Normmaß - soweit es so etwas überhaupt gibt - vertraut. Klar sind 38mm recht viel für die Zargenhöhe, aber ich würde daraus nicht unbedingt auf eine Bratsche schließen, siehe unten. Noch dazu, wo doch alle anderen Maße, die Du erwähnst, wirklich typisch für eine Geige sind.

Für mich ist das eine sogenannte Zigeunergeige, sorry, aber so wurden bestimmte Instrumente von den Händlern in den Katalogen nun mal genannt. Ich zitiere mal aus einem Katalog von Kruse, Markneukirchen:
Zigeuner-Geigen
Zwischen den besten Tonhölzern finden sich Stücke, die infolge kleiner Schönheitsfehler ausgeschieden werden müssen und für Instrumente in Neulack nicht verwandt werden können. Um dieses in seinen klanglichen Eigenschaften vorzügliche Material verwenden zu können, werden daraus sogenannte Zigeunergeigen gebaut, die in dunkler Altimitation angefertigt werden...


Vielleicht wurden da auch Serien aufgelegt, bei denen die Decken und Böden eine sehr flache Wölbung erhielten, um zu dünn gespaltene Decken- und Bodenkeile verwenden zu können. Und, so könnte ich mir weiter vorstellen, hat man versucht, das fehlende Korpusvolumen durch höhere Zargen zu kompensieren. Und sind nicht tatsächlich die Wölbungen bei Deiner Geige recht niedrig? Zumindest auf dem Foto der Seitenansicht glaube ich das zu erkennen. Mit einem leichten Teleobjektiv bekommt man übrigens bessere, da weniger verzerrte Fotos von Violinen hin.

Soviel zum Thema Bratsche.
den Bratschen-klang hab ich vorerst nur mit runtergestimmten Geigensaiten getest
Das kann aus meiner Sicht nichts werden, wenn schon, so muß man Viola- Saiten der entsprechenden Mensur verwenden!!
Sie ist aus der Musikinstrumenten Erzeugung Johann Brandner aus Schönbach in Böhmen, die Nro. 514
Johann Brandner gab es in Schönbach gleich etliche, nämlich mit den Ordnungszahlen I bis IV. Bei Johann Brandner III, geb 1890, steht in der Literatur als Ergänzung: Schüler des Johann Brandner I, Egerstraße, Biergasse, selbständig seit 1914, gestorben 1935. Und 514 ist nicht die laufende Nummer der produzierten Geigen oder eine Modellnummer. 514 ist die Nummer der damals noch in ganz Schönbach durchnumerierten Häuser. Und die Nummer 514, das Haus gibt es heute noch, steht in der eine Zeit lang Biergasse genannten Straße, das passt also auch. Daher vermute ich sehr stark, daß die Geige in der Firma von Johann Brandner III gebaut wurde.

Mit Hilfe der Fotos und des Zettels ist in diesem Fall also tatsächlich fast eine komplette Zuordnung möglich.

Schöne Grüße aus Markneukirchen

Udo Kretzschmann

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